Wider die neue deutsche
Rechtschreibung
Ein nur teilweise ernst zu
nehmendes Pamphlet
Herausgegeben und stetig ergänzt von
Dr.
Stefan Groote
Einführung
Sprache ist eines der Hauptausdrucksformen, über die sich die Kultur
eines Landes, eines Volkes eröffnet. Von der Wiege an gelernt, prägt
sie den Menschen, ohne dass ihm oder ihr das so ganz bewusst ist. Dadurch,
dass Sprache an den Menschen orientiert ist, die sie sprechen, verändert
sie sich im Laufe der Zeit. Dieser Vorgang, in der Bibel eindrücklich
als einmaliges Ereignis nach dem Turmbau zu Babel beschrieben
(Gen. 11, 4), ist mehr noch ein stetiger Prozess.
Man kann nun die Vielfalt der verschiedenen Sprachen als Problem verstehen,
aber auch als Herausforderung annehmen, und ich möchte in diesem
Zusammenhang zu Letzterem Mut machen. Im Blick auf die eigene Sprache ergibt
sich dann jedoch die Aufgabe, diese Sprache Menschen anderer Muttersprache
erlernbar zu gestalten. Regeln sind nötig, um sich daran orientieren und
Klarheit gewinnen zu können. Doch aufgrund der Weiterentwicklung der
Sprache können solche Regeln jeweils nur eine Momentaufnahme, vielleicht
sogar nur ein "demographischer Querschnitt" dessen darstellen, was
tatsächlich verwendet wird.
Vor diesem Hintergrund ist das Anliegen der Rechtschreibkommission zu
verstehen, ein neues Regelwert einzurichten - ein Regelwerk, das inzwischen
bereits an den Schulen (fast) aller Bundesländer gelehrt wird.
Betrachtet man jedoch die Diskussionen im Umfeld dieser Neuregelung, so
fällt auf, dass es nicht nur Außenseiter sind, die sich gegen diese
Neuregelung zur Wehr setzen. Renomierte Zeitschriften wie die "Frankfurter
Allgemeine" sind inzwischen zur alten Schreibung zurück gekehrt. Es hat
den Anschein, als wäre das Regelwerk in einem engen Kreis entwickelt
worden, abgeschirmt von der Öffentlichkeit und fern jeder demographischen
Erhebung. Und es stellt sich in diesem Zusammenhang wirklich die Frage, ob
ein kleiner Kreis von Experten, welcher Qualifikation auch immer, über
ein Kulturgut eines Volkes wie das der Sprache entscheiden dürfen.
Vor diesem Hintergrund und die Entwicklung beobachtend, dass sich die
Gesellschaft in Deutschland inzwischen im Wesentlichen in vier Bereiche
aufspaltet, nämlich
- Benutzer der alten Rechtschreibung
(vornehmlich ältere Menschen),
- Benutzer der neuen Rechtschreibung
(vor allem jüngere Menschen),
- Irritierte und Unwissende
(darunter auch viele der fremdsprachigen Einwohner und Gäste),
- Eigenwillige und Selbstregelnde
(meist Intellektuelle und Wissenschaftler),
bin ich mehr und mehr der Ansicht, dass zum einen eine demographische Erhebung
von Nöten ist, zum anderen eine liberalere Sicht solcher Regelwerke
angestrebt werden sollte.
Anregung einer Diskussion
Ich möchte zu einer öffentlichen Diskussion über die Sprache
einladen, oder vielmehr, die Diskussion öffentlich machen, die bereits
begonnen hat. Ich versuche, hier Argumente für und gegen bestimmte Regeln
zu geben, die meines Erachtens die Erlernung der deutschen Sprache
begünstigen oder erschweren. Doch weise ich ausdrücklich darauf hin,
dass dies nur eine Stimme in einer Vielzahl ist, und stelle meine Argumente
hiermit zur Betrachtung
und
Diskussion.
Einfache Erlernbarkeit
Gerade die Ergebnisse der PISA-Studie haben mit ihrem schlechten
Ergebnis für Deutschland das Argument hinfällig werden lassen, dass
eine freiere Handhabung der Regeln zu einem besseren Erlernen der Sprache in
Wort und Schrift führt - ein Argument, das einen maßgeblichen
Anstoß zur Entwicklung des Regelwerkes darstellte. Eine Freigabe der
Regeln ist nicht das, was ich unter "liberale Sicht" verstehe. Es sollte
vielmehr ein festes Regelwerk bestehen bleiben, die möglichen
Abweichungen jedoch angegeben werden. Ich denke da vor allem an Schüler
und Lehrer. Was soll ich als Lehrer einem Schüler sagen, wenn er fragt,
welche der möglichen Regeln er verwenden soll, und wie soll die
Schülerin in der Praxis wirklich entscheiden, welche Regel sie
verwendet? Erneut sehe ich, auch in der jüngeren Generation, die
Spaltung in diverse Regelgruppen.
Beziehung zwischen Wort und Schrift
Hierunter fallen zwei Aspekte. Zum einen ist natürlich die Wortwahl und
der Satzbau in gesprochener und geschriebener Sprache ein anderer, wenngleich
nicht so krass wie in anderen Ländern wie beispielsweise Schweden. Dies
muss im Regelwerk anklingen, jedoch gut erkennbar. Zum anderen ist eine
Übertragung der Sprache auf die Schriftsprache kein eindeutiger Vorgang.
Die sich daraus ergebenden Anforderungen an das Regelwerk werde ich im
Folgenden einzeln behandeln. Sie gliedern sich in die folgenden Bereiche:
- Zeichensetzung
- Zusammen- und Getrenntschreibung
- Groß- und Kleinschreibung
- Verwendung von "ß" und "ss", "e" und "ä" und Anderem
- Streichung der Einsparung von Konsonanten
- Trennregeln
1. Zeichensetzung
Satzzeichen wie Punkt, Komma, Semikolon, Bindestrich, Ausrufungszeichen und
Fragezeichen (um nur wenige auszulassen) sind Gliederungsmittel, die in der
Sprache nicht vorkommen. Doch tatsächlich kommen sie doch vor, sind
erkennbar an kurzem Innehalten oder am deutlichsten an der Wortmelodie bei
Ausrufungs- und Fragezeichen. Letztere sind daher auch am wenigsten der
Änderung unterworfen, ebenso wie der Punkt als Ende eines Satzes. Schaut
man jedoch das Komma genauer an, so fällt diesem zunehmend eine
untergeordnete Rolle zu - ganz zu Unrecht, wie ich meine. Ich gebe im
Folgenden wie auch in den anderen Abschnitten nun jeweils Beispiele, ohne
sie zu kommentieren. Allerdings gebe ich in einigen Fällen (in Klammern)
ein Beispiel als Begründung für meine Wahl. Die von mir bevorzugte
Form versehe ich mit einem (+), die alte Form ist in Normalschrift, die neue
Form in Kursivschrift gehalten.
- Er hatte begonnen, den Brief zu schreiben(+) -
Er hatte begonnen den Brief zu schreiben
- Er ging, um nachzusehen(+) -
Er ging um nachzusehen (Er ging um die Ecke)
- Ich habe vor, zu kommen(+) -
Ich habe vor zu kommen (Ich habe vorzukommen)
- Sie ging, und sie fand ihn(+) -
Sie ging und sie fand ihn
2. Zusammen- und Getrenntschreibung
Durch Zusammenschreibung hat sich im Laufe der Zeit aus einzelnen Worten
ein neuer Sinn ergeben, der sich auch in der Sprache selbst klarmacht -
manchmal mehr, manchmal weniger. In einigen Fällen kann man es als
Geschmackssache ansehen, in einigen ist es jedoch sinnverändernd,
Worte auseinander zu reißen. Und vor allem: ich vermisse die
Einheitlichkeit (und damit erneut Erlernbarkeit) der Regeln. Um einmal ein
paar Beispiele auch hier zu nennen (Querverbindungen ergeben sich hier
natürlich zur Groß- und Kleinschreibung):
- zur Zeit(+) - zurzeit
- mit Hilfe(+) - mithilfe (die Mithilfe)
- aufgrund(+) - auf Grund
- sogenannte(+) - so genannte
- zustande(+) - zu Stande
- bereitgestellt(+) - bereit gestellt
- heißgeliebt(+) - heiß geliebt (nicht kalt)
3. Groß- und Kleinschreibung
Eine generelle Kleinschreibung würde einen jeglicher Probleme entheben
- meint man. Doch es beginnt schon da, wo Eigennamen mit ins Spiel kommen.
Und sie stößt da auf massive Probleme, wo eine Kleinschreibung von
Substantiven zu Uneindeutigkeiten führt - insbesondere dann, wenn diese
aus Verben abgeleitet sind. Natürlich ergeben sich immer
Möglichkeiten, den Sinn aus dem Zusammenhang zu erschließen, aber
aus diesem herausgerissen wie in unvollständigen Sätzen, besteht
diese Möglichkeit nicht. Ich meine, dass unsere Sprache einen solchen
Wechsel nicht verträgt, da sich die Grammatik auf diese Unterscheidung
verlässt. Das Vorbild einer anderen Sprache wie des Englischen führt
da nicht weiter. Ich finde es daher positiv, dass die Kommission sich nicht
auf die generelle Kleinschreibung eingelassen hat. Die übrigen Regeln
finden größtenteils meine Zustimmung, beispielsweise
- Im folgenden beschreibe ich ... - Im Folgenden beschreibe
ich ...(+)
- Als nächstes gebe ich an ... - Als Nächstes gebe ich
an ...(+)
In diesen Beispielen wird das Adjektiv substantivisch benutzt. Die Regel, es
dann groß zu schreiben, ist einsichtig.
4. Verwendung von "ß" und "ss", "e" und "ä" und Anderem
Die Verwendung von "ss" statt "ß" in allen Fällen, in denen es
einem kurzen Vokal folgt, findet meine Zustimmung. In einer Vorstufe meines
Entscheidungsprozesses habe ich noch über eine andere Variante
nachgedacht, welche die Grammatik mit einbezieht und damit nach einigen
Doppellauten auch "ss" vorsah, wenn die Grundform sich mit diesen schrieb,
beispielsweise
- schliessen - schloss - geschlossen
- reissen - riss - gerissen
Doch erscheint mit inzwischen mit dem Argument der Übertragung von
Sprache auf Schrift die gewählte Variante vernünftig zu sein,
wenngleich sie versäumt, Möglichkeiten der Unterscheidung zu
nutzen, z.B.
- Ich weiss (wissen) - die Farbe Weiß
Im Konflikt stehe ich dagegen jedoch mit der Ersetzung von "e" durch
"ä" - und kann es zum Teil auch begründen, da die Wahl ein
Problem nur halbherzig angeht. Man beachte dazu
- aufwenden - aufwendig, aufwändig - der Aufwand
- stehen - ständig (keine Änderung) - der Stand
Konsequenterweise müsste man hier entweder "aufwenden" in
"aufwänden" oder "Aufwand" in "Aufwend" verwandeln, beides unpraktikable
Lösungen aus meiner Sicht. Manche Ungereimtheiten der Sprache lassen
sich eben nicht so einfach ausräumen. Eigentlich müsste es dann auch
"Ältern" statt "Eltern" heißen, da dieses Wort von der
Steigerungsform "älter" stammt. Eine ähnliche Einstellung habe ich
auch zu Ersetzungen von "t" durch "z":
- potenzieren - das Potential, das Potenzial - die Potenz
- proportional - der Proporz
5. Streichung der Einsparung von Konsonanten
Die "Donaudampfschifffahrtsgesellschaft" steht nach neuer Schreibung voll
unter Dampf. Eine Einsparung des dritten "f" ist gestrichen - was auf den
ersten Blick seltsam aussieht, ebenso wie "Gussstahl", eine Konsequenz der
Ersetzung von "ß" durch "ss". Vielleicht ist es nur eine Sache der
Gewöhnung, jedenfalls fällt damit eine Regel fort. Seltsam sind
nur die "Blüten", die diese Einsparungsaufhebung treibt. So gilt nun
auch
- selbständig - selbstständig
obwohl "selb-" bislang als ein eigenständiger Vorsatz galt, wie man
schon an den Worten "selber" und "selbiges" (im Gegensatz zu "selbstlos",
was von "selbst" kommt) merkt.
6. Trennregeln
Die Regel "trenne nie "st", denn es tut ihm weh", gilt nach dem neuen
Regelwerk nicht mehr. Teilweise ist das auch zu verstehen:
Manchmal aber läuft es zumindest mir zuwider:
Ganz seltsam kommt mir die Abtrennung einzelner Vokale vor,
bei denen dieser einzelne Vokal am Ende der Zeile steht.
Seiten zur Rechtschreibreform
"Der Spiegel", 29. Juli 2004
ZIF-Feuilleton, Darmstadt
Zu parallelen Entwicklungen in Frankreich siehe
Wikipedia: Französische Rechtschreibreform
Romanistik-Info (DOC)